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12.Fachdidaktisches Gespräch zur Informatik
in Königstein/Sachsen

14. bis 16. März 2005

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Arno Pasternak, Hagen


Was wir übersehen haben

oder

Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht.

(aus einer Werbung von www.linuxhotel.de)




Schüler sollen lernen, den Computer zu beherrschen,
nicht nur anzuwenden!

(Nievergelt ?)


These 1:

Schüler/innen müssen mit der Kommandozeile umgehen lernen.

Die Kommandozeile ist eine Möglichkeit, mit dem Computer zu interagieren. Es ist mitnichten so, dass alle Tätigkeiten sinnvoll ausschliesslich mit der Alternative, der grafischen Oberfläche, ausgeführt werden können. Manche Tätigkeiten lassen sich gar nicht oder nur schlecht mit der GUI ausführen.
Es ist auffällig, das immer wieder von Benutzern erwähnt wird, dass zumindest bei intensiver Nutzung des Computers die Kommandozeile häufig Vorteile bietet. Dabei ist sicher richtig, das die Kommandozeile zu Beginn einen erhöhten Lernaufwand bedarf. Dieser wird jedoch bei modernen Systemen durch mehrere Hilfsmöglichkeiten reduziert.
Die Schule hat die Aufgabe, den Schüler zu befähigen, diese Form der Interaktion zu benutzen. Sie soll sicher die GUI nicht ersetzen, aber sinnvoll ergänzen. Nur wenn die Schule die entsprechende Zeit zur Verfügung stellt, ist der Schüler zukünftig in der Lage, eine sinnvolle Entscheidung der Interaktion mit dem Computer zu treffen.
Dabei versteht es sich von selbst, dass die Kommanozeile in sinnvollen Lernumgebungen erarbeitet und genutzt wird und nicht nach dem Prinzip "Nun lernen wir die Kommanozeile kennen" als Selbstzweck unterrichtet wird.


These 2:

Der Computer ist ein Automatisierungsgerät:
Daher müssen unsere Schüler/innen Skripte/Programme für diesen Zweck erstellen können.

Automatisierung bedeutet hier im Wesentlichen die Wiederholung immer wieder derselben Vorgänge. In vielen Fä llen ist die Programmierung einfacher Scripte z.B. in den Scriptsprachen der Kommandozeilenumgebung der meisten Unix/Linuxsysteme (z.B. in der sogenannten Bash) das geeignete Mittel. Häufig bieten für derartige Aufgaben grafische Oberflächen keine geeigneten Mittel, da die Möglichkeiten von Automatisierungswünschen vielfältig sein können. Der unbedarfte Benutzer muss dann in einer solchen Umgebung sich durch viele "Klicks" auf irgendwelche Buttons schmerzlich und manuell behelfen.
Auch das sogenannte "komponentenbasierte" Programmieren ist auf diese Weise ideal realisierbar, da in Scripten häufig vorhandene Betriebssystemkommandos u.a. mit ihren Parametern verbunden werden.
Dabei ist es für den Schüler von Vorteil, auch die Programmierung ohne IDE kennen zu lernen und zu praktizieren. Der Dreiklang "Editieren, Compilieren, Ausführen" wird dabei elementar erfahren und nicht durch vielfältige Features in einer modernen IDE verdeckt. Als Beispiele seien hier die Arbeit mit gcc und fpc genannt, die als freie Compiler für viele Systeme vorhanden sind.


These 3:

Schüler benötigen UNIX/LINUX-Kennnisse.

In den Unix-orientierten Betriebssystemen sind beide "Welten" - Kommandozeile und grafische Oberfläche - ideal vereint. Man kann problemlos nach Wunsch die Interaktionsart wechseln.
Da diese Systeme in der Zukunft weiter zunehmen werden und aufgrund ihrer Ausgereiftheit seit über 30 Jahren auch ein nachhaltiges Lernen ermöglichen, da wesentliche Änderungen der Bedienung in Syntax, Semantik und Pragmatik nicht zu erwarten sind, ist es sinnvoll, sich weitgehend auf diese Systeme zu beziehen.
Da es sich i. A. nicht um kommerzielle Produkte handelt, unterliegt man auch nicht der Gefahr, in der Ausbildung zu einem verlängerten Arm bestimmter Firmeninteressen zu werden. Ausserdem erhält jeder Schüler die Möglichkeit, zu Hause eine entsprechende Arbeitsumgebung ohne zusätzliche Kosten aufzubauen, was dem Gleichheitsgrundsatz entspricht.
Dies ist dann auch eine sinnvolle Ergänzung zum derzeitigen EDCL, der häufig zur konkreten Anwendungsschulung in einem proprietären Betriebssystem einschliesslich seiner Mainstream-Anwendungen verkommt.


These 4:

Schüler müssen sich im Netz bewegen können.

Die IT-Welt entwickelt sich immer mehr zu einer vernetzten Welt. Dabei verschwinden immer mehr die Grenzen zwischen dem Gerät, vor dem ich sitze, und dem "Rest der Welt". Schüler müssen erfahren, dass ihr Monitor nicht zwingend Daten des zugehörigen Computers repräsentiert.
Dazu ist ein Zugriff auf externe Computer per Telnet/FTP und/oder mit dem sicheren SSH-Protokoll etc. nötig. Ein Arbeiten auf der Kommandozeile bietet sich hier förmlich an, da entweder auf den entfernten Computer keine grafische Arbeitsmöglichkeit besteht (z. B. auf vielen Servern) oder sich auch aus Bandbreitengründen nicht anbietet.


These 5:

Unterschiedliche Software-Produktions-Modelle müssen bekannt sein.

In der Software-Entwicklung gibt es ein unproblematisches Nebeneinander von kommerzieller Software und Open-Source - Software. Schüler müssen diese unterschiedlichen Systeme kennen und einschätzen können. Nur so können sie später als Privatmensch oder im Berufsumfeld Entscheidungen über die Anschaffung von Software fällen, die verschiedenste Gesichtspunkte berücksichtigt hat.


These 6:

Die Bedeutung von Standards in einer technisch beherrschten Welt muss erkannt werden.

Aus den verschiedensten Gründen sind Standards im Bereich der Technik, hier also IT, notwendig. Wir könnten uns beispielsweise nicht in Netzen bewegen, günstige Hardware kaufen etc, wenn nicht auf den verschiedensten Teilgebieten Normen und Standards vorgeschrieben sind, an die sich alle halten.
In diesem Zusammenhang muss auch vermittelt werden, dass es neben den staatlichen und überstaatlichen Normierungsbehörden im Internet als Standardisierungsform die RFC‘s entstanden sind. Ohne diese offenen Diskussionen und dann auch akzeptierten Festlegungen müsten wir uns mit vielen inkompatiblen Lösungen wie z.B. beim Messaging herumschlagen. Durch eine Akzeptanz dieses Systems auch durch die heranwachsende Jugend kann dieses erfolgreiche Verfahren erhalten werden. Hierzu muss die Schule einen Beitrag leisten.



Anmerkung:

Die in obigen Thesen vorgestellten Notwendigkeiten sind sicher unvollständig. Deutlich geworden sind sie mir selber beim Reflektieren meines eigenen Unterrichtes zum Thema Netze. Sie sollen Anlass sein, darüber nachzudenken, an welchen Stellen wir als Lehrer doch zu nachlässig oder etwas vergesslich (gewesen oder geworden?) sind.


Diese Thesen wurden auf der Tagung in Königstein vorgestellt und anschliessend entsprechend der Diskussion überarbeitet.


Wer sich mit dem Zeitgeist vermählt,
wird schnell Witwer.

(Eckard Minx, Daimler-Chrysler)




Literatur:
Neal Stephenson:
Die Diktatur des schönen Scheins, 1999/2002, USA/München

Linux Torvalds:
Just for fun, 2001, München

Glyn Moody:
Die Software Rebellen, 2000/2001, USA/ Landsberg/Lech

Eric S. Raymond:
Die Kathedrale und der Basar, 1999
http://www.catb.org/~esr/writings/cathedral-bazaar/ (englisch)
http://www.selflinux.org/selflinux-devel/html/die_kathedrale_und_der_basar.html (deutsch)

Log IN Nr. 131/132 (zur komponentenbasierten Programmierung),
2005, Berlin



Siehe auch: Der Filemanager


Stand: 23. März 2005/11. September 2005