Thesen

Arno Pasternak, Hagen(Westfalen)
(Lehrer an der Fritz-Steinhoff-Gesamtschule Hagen) 22.5.1996




Thesen zur aktuellen didaktischen Diskussion des Faches Informatik in der Sekundarstufe I

Die nachfolgenden Thesen wurden ursprünglich anläßlich eines Studientages zur Weiterentwicklung des Curriculums im Wahlpflichtfach Informatik für den 9. und 10. Jahrgang formuliert. In unserer Schule wird schon seit etwa 15 Jahre intensiv auf diesem Gebiet gearbeitet. Wie überall, hat auch hier zwischenzeitlich eine deutliche Akzentverschiebung von den 'rechner'- und algorithmiknahen Themen zu konkreten Rechneranwendungen stattgefunden.

Welche der vielfältigen Facetten von Informatik und Informatikanwendungen etc. auf den verschiedenen Schulstufen geeignet sind, wird die Diskussion der nächsten Jahre zeigen. Eine intensive Diskusssion einzelner Kurssequenzen und Unterrichtseinheiten im Fach Informatik ist nur sinnvoll, wenn zuerst darüber nachgedacht wird, welche Rolle das Fach überhaupt in der Schule spielen soll. In den folgenden Thesen wird schlaglichtartig die augenblickliche Situation aus meiner Sicht dargestellt sowie daraus folgend Ansätze für sinnvolle Konzepte für die Ausbildung in Informatik in der Sekundarstufe I gefordert.

Auf eine Literaturliste habe ich bewußt verzichtet. Als ergänzende Literatur ist allerdings der Artikel von N. Breier in der LOG-IN 5/6 1994 zu empfehlen.

These 1:

Die Konzepte aus den 80-Jahren einer I.u.K.-Grundbildung sind gescheitert.

Dies war auch vorherzusehen, da die Wirkungen und Auswirkungen einer so umfangreichen Technologie so jungen Schülern mit so wenig Unterrichtsstunden höchstens im Ansatz vermittelbar sind. Von Anfang an fragwürdig war es, diese Ausbildung im wesentlichen von Nichtfachleuten ohne tatsächliche fachliche und fachdidaktische Ausbildung durchführen zu lassen. Gerade in einem inhaltlich und technisch sich so rasch wandelnden Fachgebiet ist die fachliche Kompetenz des Unterrichtenden unabdingbar, um nicht morgen schon von vorgestern zu sein. So mußte die (extrem platte) angestrebte Ganzheitlichkeit zum institutionalisierten Dilettantismus verkommen.

Konsequenterweise sind die Konzepte der Alt-BRD nicht überall in den neuen Bundesländern übernommen worden. Vor allem die teilweise Einführung eines eigenständigen Faches ist ein wichtiger Lernfortschritt aus den Fehlern der vergangenen Jahre.

These 2:

Informatisches Wissen gehört heute zum Allgemeinwissen.

Trotz alledem bleibt festzuhalten, daß die Strukturen und Methoden des Faches Informatik (in schüler- und altersgerechter Art) zum Schulkanon gehören müssen, da sie das heutige Leben in vielfältiger Weise weit über das Fach Informatik hinaus beeinflußt haben und beeinflussen werden. Damit ist nicht die Bedienung irgendwelcher Computer und computerisierter Geräte gemeint, sondern z.B. algorithmisches Denken, Software-Engineering, Strukturen und Weiterentwicklung der Informationsgesellschaft, Datenschutz etc..

Der Ansatz der Vermittlung der didaktisch sinnvoll zu reduzierenden Inhalte der informatischen Bildung muß daher gesellschaftsorientiert sein. Dagegen (nicht ergänzend) steht z.B. der vom Landesinstitut NRW in Soest favorisierte benutzerorientierte Ansatz, der übertrieben die konkrete Anwendung des Rechners in den Vordergrund stellt und oft nur zur Einführungs-Unterweisung in eine konkrete Rechneranwendung degeneriert. Zudem wird dabei der Unterricht auf vorhandene und bezahlbare Software und deren Möglichkeiten eingeschränkt.

Auf Dauer sind die Ansprüche der informatischen Bildung nur in einem Pflichtfach Informatik in der S1 und S2 von ausgebildeten Fachlehrern umfassend zu leisten.

Es ist dabei selbstverständlich, daß im Interesse der Schüler veraltete, heute nicht mehr zum Allgemeinwissen gehörende Anteile in den verschiedensten Unterrichtsfächern aus dem Pflichtkanon der Schüler gestrichen werden müssen. Beispiele dafür gibt es genügend.

These 3:

Die Informatik ist (unter anderem auch) eine technische Fachwissenschaft (mit transdisziplinärem Charakter.)

Die berechtigte Kritik einer Reduzierung auf eine bloße Algorithmik in den 70- und 80-Jahren hat dazu geführt, daß das Fach Informatik ihrer gesellschaftlichen Verantwortung entsprechend die Auswirkung ihrer Methoden, Strukturen und Produkte mit in ihre Unterrichtsinhalte immer mehr einbezieht (Technikfolgenabschätzung, ökologische Informatik). Diese Entwicklung ist nicht von heute auf morgen zu realisieren, sie wird jedoch in Schule und Hochschule immer deutlicher. Auch die mehrfachen Paradigmenwechsel in der Informatik müssen zwangsläufig teilweise Auswirkungen auf die Schule haben.

In der Schule dauert dies länger, da mangels ausgebildeter Informatiklehrer im allgemeinen ('weltfremde') Mathematiklehrer wegen der Nähe der Mathematik zu einigen Aspekten der Algorithmik sich des Faches annehmen. (Das es auch bei einigen Informatikern Probleme gab und gibt, ist wie bei allen Fächer (,wenn der Blick über den Tellerrand gewünscht wird,) nicht ungewöhnlich. Da der Informatiker sein Fachverständnis aus der Entwicklung und Veränderung des Faches gestalten muß und seine Aufgaben unter anderem immer aus Anforderungen der Gesellschaft definieren muß, ist eine wertneutrale Abschottung des Informatikers weniger wahrscheinlich. Der Informatiker hat nach dem heutigen Verständnis neben vielem technischen Wissen auch sozialwissenschaftliche Kompetenz zu besitzen. (Steinmüller spricht hier von transdisziplinärem Charakter in Abgrenzung zum interdisziplinären Charakter der Informatik).

Auf schulicher Ebene wurde in den verschiedenen Bundesländern versucht, diese Transdisziplinarität durch das Hinzuziehen von Lehrern aus den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern zu erreichen. Bei dem Versuch, neue informatische Unterrichtsinhalte unter Verwendung sozialwissenschaftlicher Methoden zu entwickeln, hat dies allerdings zu einer Art 'Gehirnwäsche' geführt. Sicherlich spielt dabei auch eine Rolle , daß viele sozial- und gesellschaftswissenschaftliche Lehrer aufgrund ihrer eigenen Biographie eine innere Einstellung mitbringen, die technische Welt ohne Kenntnis und Verständnis der Technik (meist ihr eigenes Schuldefizit) beurteilen und weiterentwickeln zu können. Also sind fast alle technischen Inhalte des Faches aus dieser Sicht praktisch irrelevant. Da zusätzlich fast die gesamte mittlere und ältere Generation keine eigenen technischen informatischen Kenntnisse besitzt, ist die Akzeptanz einer allgemeinbildenden umfassenden informatischen Bildung schwer vermittelbar. Für die Mehrheit sind viel fragwürdigere, aber tradierte Schulstoffe als Allgemeinbildung ohne jegliche Rechtfertigung problemlos akzeptiert.

Diese strukturellen Bedingungen führten zur Deformation - peppig als "ganzheitliche" Methode getarnt - der meisten Ziele und Inhalte des Informatik-Unterrichtes in der Sekundarstufe I (zumindest im Rahmen der sogenannten Grundbildung Informatik).

Demgegenüber bleibt festzuhalten:

Methoden und Inhalte sozialwissenshaftlicher Fächer sind Hilfsmittel, die von der Informatik zu Ansätzen und Weiterentwicklung ihrer Strukturen, Methoden, Techniken und Technologie benutzt werden müssen (transdisziplinärer Charakter der Informatik). Ohne Fachkenntnis der Technik und der Technologie nutzen die Hilfswissenschaften nichts. Die inhaltliche Auswahl muß daher von der Informatik und nicht von den "gesellschaftlichen" Fächern kommen. Da viele Inhalte ohne ein technisches informatisches Basiswissen nicht sinnvoll unterrichtet und verstanden werden können, muß gerade der 'technische' Unterricht oft (auch zeitraubend) die Grundlage informatischer Bildung sein.

These 4:

Das Umgehen mit den durch die Informationstechnologie entstandenen Produkten mit Werkzeugcharakter ist nicht Gegenstand des Informatikunterrichtes.

Die Bedeutung der Informatik besteht u.a. in der Entwicklung und Herstellung und Installation vielfältiger Systeme. Darunter befinden sich eine Reihe von Produkten, die ein Ersatz, eine Weiterentwicklung, Vereinfachung etc. in einem oder mehreren Bereichen darstellen können. Ergibt sich aus der Reduktion der Fachinhalte auf das entsprechende Schulfach eine schulische Bedeutung, so ist dies in diesem Fach zu leisten und nicht im Fach Informatik.

Mögliche Beispiele sind: Textverarbeitung in Deutsch, Tabellenkalkulation in Mathematik, Zeichenprogramm in Kunst, Musik- und Soundprogramme in Musik etc.. Es ist doch auffällig, daß die Forderung nach dem Umgang mit konkreten Anwendungsprogrammen nicht von inhaltlichen Kriterien schulischer Pädagogik, sondern ausschließlich von der Verfügbarkeit und dem aktuellem Medieninteresse geprägt war und ist (man denke nur an die augenblickliche Diskussion um Multimedia und Internet).

Spätestens nach der Verfügbarkeit ausreichender Rechnerkapazitäten an vielen Schulen ist es möglich, umfassend auch im Fachunterricht die Computerräume zu nutzen. Da die meisten Kollegen im privaten und beruflichen Bereich PC's verwenden, sollten die notwendigen Bedienungskenntnisse für den fachlichen Umgang mit dem Computer und den zugehörigen Programmen vorhanden sein.

Mit anderen Worten: Es macht aufgrund der Kenntnisse seitens der Lehrer und der Inhalte der einzelnen Fächer Sinn, die Computer im Unterricht als Werkzeug einzusetzen. Dieser Teil der sogenannten Grundbildung kann und sollte nach dem sogenannten 'Verteilungsmodell' geleistet werden. Die anderen Teile der 'Grundbildung' müssen und können nur im Fach Informatik (derzeit nur im Wahlpflicht-Bereich und in der Sek II) durchgeführt werden.

These 5:

Der Informatik-Unterricht in der Sekundarstufe I muß wieder aus den 'Klauen' der Sozial- und Gesellschaftswissenschaftler befreit werden, um einem umfassenden allgemeinbildenden Informatik-Verständnis gerecht werden zu können.

Aus den Thesen 1 bis 4 wurde deutlich, daß der Kurs der derzeitigen Informatik-Didaktik entsprechend einem Pendelausschlag inzwischen 'soziallastig' geworden ist. Zu Recht ist vor mehr als zehn Jahren die mathematisch-strukturelle Überlast des Schulfaches Informatik kritisiert worden (was sollte ein 'armseliger' Mathelehrer auch anderes machen?).

Es muß untersucht werden, welche Inhalte und dann konkret welche Einheiten dem neuen und manchmal doch 'alten' umfassenden Informatik-Begriff auf den verschiedenen Schulstufen gerecht werden. Viele Ansätze der letzten zwanzig Jahre liefern abgesehen von neuen Entwicklungen (z.B. Problematik Netze) genügend Material für positive Weiterentwicklungen.


Arno.Pasternak

Letzte Änderung: Donnerstag, 8. August 1996 (lh)
aktuell angepasst: Mittwoch, 30. März 2005 (psa)


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